Straßenhunde in der Türkei
Von Cornelia Baumsteiger

Straßenhunde sind in der Türkei ein altes, bisher noch immer ungelöstes Problem. Die Mehrzahl der Türken sehen in ihnen wilde, gefährliche Tiere, die Kinder jagen, beißen und Krankheiten übertragen. Die regelmäßigen örtlichen Vernichtungsaktionen gegen Straßenhunde wurden deshalb zustimmend oder gleichgültig akzeptiert. Ende des vergangenen Jahres wurde eine neue – laut Angaben der Tierschützer diesmal landesweit – angeordnete Tötungswelle ausgelöst.

Todesfolge in mehreren Fällen von Hundebissen, zuletzt der spektakuläre Tod eines kleinen Mädchens, wurden als Grund genommen, das Einsammeln und Töten der Straßenhunde zu befehlen. Sie seien Überträger der Tollwut, sie zu töten sei gesundheitliche Vorsorge. Erstaunlich ist aber, daß in keinem der angeblichen Tollwutfälle die Krankheit tatsächlich nachgewiesen wurde.

Der emotional hochgespielte Fall des gestorbenen Kindes ist besonders dubios: Der Hund, der gebissen hat, nachdem Kinder ihn geärgert hatten, wurde getötet und gleich entsorgt. Die Bißwunden des Kindes wurden sofort zugenäht, es bekam keine Tollwutimpfung und keine Tetanusimpfung. Woran die Kleine eine Woche später starb, ist nicht geklärt worden. Tierschützer behaupten daher, die Tollwut sei nur ein Vorwand, um nun massiv auf Anordnung des Landwirtschaftsministeriums gegen Straßenhunde vorgehen zu können. Das Landwirtschaftsministerium sei gleichzeitig die Instanz, die immer wieder eine Verabschiedung des Tierschutzgesetzes verhindere.

Brutales Vernichten der Straßenhunde, so wie es zurzeit auf schreckliche Weise praktiziert wird, kann das Problem der Population wilder Hunde wie auch die Tatsache, daß es Tollwut unter diesen Tieren gibt, nur kurzfristig verdrängen. Bereits in den 20er Jahren haben die Behörden sämtliche Straßenhunde eingefangen und auf eine Insel bei Istanbul bringen lassen, wo sie ohne Wasser und Futter verendet sind. Tagelang konnten Anwohner wegen der Schreie der Sterbenden nachts nicht schlafen. Geholfen hat dieses Massaker nicht. Nach kurzer Zeit waren neue Hundehorden da.

Die Behörden verschließen sich der Tatsache, daß die Menge der freilebenden Hunde mit dem großen Futterangebot zusammenhängt, sprich dem vielen Müll auf den Straßen, daß, je mehr Tiere vernichtet werden, die Würfe der Überlebenden um so größer sind. Und: Eine sinnvolle Tollwutbekämpfung darf nicht allein bei den Straßenhunden ansetzen, sondern muß vor Allem die Kontrolle und Impfung der Wildtiere (z.B. Auslegen von Ködern) beinhalten. Ein Problem, daß seit der ersten Tollwutpanik 1927 bis heute nicht erfolgreich gelöst wurde. Es gab in Istanbul einen Leitartikel, der behauptete, aus Angst vor Tollwut bleiben nun auch die Touristen aus. Ein Teil der Bevölkerung scheint die Kampagnen von Behörden und Presse zu glauben. Selbst erwachsene Männer zeigen große Angst vor Straßenhunden, sogar vor Welpen. Es regt sich kaum Widerstand gegen das scheußliche Vergiften mit Strychnin; es wird berichtet, daß sogar Kinder Hunde im Todeskampf noch treten.

Trotzdem lehnen die Behörden, vom Ministerium bis zu den Stadtverwaltungen, die Verantwortung für die Vergiftungsaktionen ab. Zahlreiche türkische Fernsehberichte und Videoaufnahmen von Tierschützern belegen aber auf schwer erträgliche Weise das Gegenteil. Außerdem berichten Tierschützer, daß sie städtischen Wagen nachfahren und das vergiftete Fleisch wieder einsammeln, das zuvor von den Behörden ausgelegt wurde. Manche Stadtverwaltungen vereinfachen das Verfahren und erschießen die Straßenhunde (z.B. in Belek).

Tierschutzverein in Istanbul: 
Society For The Protection Of Stray Animals, SHKD 
Tel. 00 90 (2 12) 2 65 77 32 
oder 00 90 (2 12) 2 74 63 64 
Fax 00 90 (2 12) 2 65 66 29

Protestaufruf des WDR
Sendung vom 5. März 2001

 
Zum Archiv