Warum wir anfangen sollten unseren Tieren wieder mehr zuzutrauen
- Das sieben Wochen alte Kätzchen hat sich alleine in der Nacht auf den Weg gemacht, seine Mamma zu suchen, und hat sie auch gefunden .
- Abgemagerte Bauernhofkatzen bringen trotzdem irgendwie ihren Nachwuchs durch, den sie auch noch verstecken müssen.
- Die Hunde vom Dorf gehen selbständig, meist zu zweit, Gassi.
- Auch entlaufene Hunde und Katzen, die ein Leben lang in unserer Obhut waren, können einige Zeit überleben.
Als Tierschützer gefällt mir dies alles weniger, es nötigt mir aber einen ungeheuren Respekt ab, und ich erkenne dadurch, dass wir unseren Tieren oft zu wenig zutrauen. Natürlich können und wollen wir unsere Haustiere nicht nur sich selbst überlassen, aber:
In dem heutigen „Trainings- und Beschäftigungswahn“, inzwischen ein Industriezweig, der wieder nach unseren Maßstäben ausgerichtet ist: Denn wir bestimmen, WAS, WANN, WO, WIE, erkennen wir oft gar nicht mehr, was wirklich in unseren vierbeinigen Gefährten steckt – ohne unser Zutun. Da wird trainiert, motiviert, kontrolliert, geklickert, gemarkert, konditioniert, und jeder „Schnaufer“ interpretiert, bis der Arzt kommt. Wollen wir damit nicht wieder die absolute Macht über sie? Mit anderen ´sanfteren` Mitteln als früher, aber nicht weniger egoistisch. Immer mehr Experten mischen mit und verkaufen ihre einfachen Tipps, wissenschaftlich untermauert und mit Fremdwörtern garniert, als artgerecht und schnell umsetzbar: Das Damoklesschwert der Unterforderung schwebt über allen Tierbesitzern!
Nehmen wir unseren Tieren die Chance zur Persönlichkeitsentwicklung?
Vielleicht sollten wir mal einen Gang zurückschalten, und aufhören, unsere Tiere wie Kinder zu behandeln, sie ständig zu kontrollieren und ihnen damit jegliche Selbständigkeit und Möglichkeit zur Persönlichkeitsentfaltung zu nehmen.
Auch der Schweizer Tierforscher Dr. Immanuel Birmelin hat festgestellt, dass gerade die sehr gut erzogenen Hunde bei seinen Tests (Erfahrung, Lernen, Problemlösungen) nicht besonders gut abschneiden, weil sie immer auf Anweisungen warten würden. (Quelle: Interview Lindermann´s Tierwelt)
Lassen wir sie mal wieder machen, unsere Gefährten, und mischen uns nicht überall ein. Geben wir ihnen wieder mehr Freiraum für eigenständiges Handeln und selbstgewählte Beschäftigung, die in unseren Augen vielleicht auch mal `unerwünschtes Verhalten` ist, aber für unsere Tiere natürlich. Dann versetzen sie uns nämlich immer wieder in Erstaunen, können „wachsen und gedeihen“.
Das kann dauern, und die Staubwolken reichen bis zu meiner Kaffeetasse. Es ist aber so schön, sie dabei zu beobachten, und wenn sie sich dann, staubig, mit einem entspannten Grunzer in ihre Kuhle plumpsen lässt, ist sie mit sich und der Welt zufrieden.
Beispiele für natürliches Tierverhalten:
Meine Pflegekatze und Mammi Micki bringt ihrem Nachwuchs Gustl von ihren Ausflügen manchmal tote Mäuse mit – als Anschauungs- und Lernobjekt …
Auch ein einfacher Waldspaziergang ist für einen Hund immer spannend und all seine Sinne werden dadurch gefordert. Und eine Wohnungskatze freut sich über einen mitgebrachten Zweig vom Baum. Denn die Natur ist unschlagbar, einfach und artgerecht!
Langeweile? Ja bitte!
Außerdem darf es auch mal langweilig sein. In freier Wildbahn praktizieren das Tiere auf ganz natürliche Weise: Auf der einen Seite, während der Jagd, laufen all ihre Sinne auf Hochtouren und auf der anderen Seite gibt es Zeiten ohne Ziel und ohne Erfolgsdruck. Sie verbringen viele Stunden auch einfach mit „Nichtstun“ oder entspannen durch Spielen oder sogenanntes Komfortverhalten, indem sie sich, auch der gegenseitigen, Fellpflege widmen. Diese Aus-Zeiten stärken die Gemeinschaft, fördern das soziale Verhalten und lassen genügend Freiraum für eigenständiges Handeln, das sonst durch die permanente Kontrolle unsererseits langfristig abhandenkommen kann. Die „langweiligen“ Tage gehören also zum Wohlbefinden und Regenerieren.
Warum du dein Tier nicht ständig bespaßen musst
Wir müssen unsere Tiere nicht ständig „bespaßen“, überwachen, oder unseren Ehrgeiz durch sie befriedigen. Damit würden wir nur unseren eigenen Leistungs- und Erfolgsdruck und unser Streben nach Perfektion, wie die sogenannten „Eislauf-Muttis“, an sie weitergeben und es wäre nur eine Frage der Zeit, wann das „Burn-out Syndrom“ auch bei unseren Tieren auftaucht.
Es kann so herrlich, angenehm und bereichernd sein, einfach mal bei seinen Tierlein zu sitzen: Am Boden, auf der Wiese, und auf der Couch, denn Tiere lieben auch den gemeinsamen Müßiggang!