Dürfen Seehunde gejagt werden? 

Kiel 2001 
Eine gewalttätige Vorstellung, haben die Umweltschützer an der Westküste von Schleswig-Holstein. Sie sehen vor sich einen Seehund mit seinen treuen, großen, schwarzen Augen, der am Strand liegt. Dann zerreißt ein Schuss die Stille. Der Jäger stiefelt durch das Watt und wirft die blutverschmierte Tierleiche in sein Boot. Diese Horrorvorstellung wird ausgelöst, da eine ernstgemeinte Debatte über die Jagd von Seehunden aufgekeimt ist. Vor 13 Jahren wütete eine Seuche unter den Seehunden in der Nordsee. Im Bereich von Island bis Pellworm erlag etwa ein Viertel der 65.000 Tiere der Epidemie. Nur in Schleswig-Holstein sammelten die Helfer mit ihren Handwagen 5800 verendete Tierkörper ein. Es starben mehr Tiere, als man auf den Sandbänken zu finden glaubte. Die Tierschützer machten das Umweltfiasko zu einem deutschlandweiten Gesprächsthema. Zuerst wurde vermutet, dass die Tiere infolge des Wohlstandsdrecks in der See verstorben sind. Es wurde entdeckt, dass die Todesursache in einem Virus begründet war. Staupe, bekannt von Hunden und Katzen kann auch einen Seehund befallen. Danach nannte galt das erschießen von der possierlichen Meeressäuger als „Bambi-Mord“. 

Es besteht seit 1974 ein Jagdverbot und nach der Epidemie wagte niemand mehr einen Verstoß dagegen. Vor dieser Zeit gab es ein Jagdrecht auf Seehunde, welches innerhalb der Familie vererbt wurde. Danach gab es nur noch 22 staatlich bestellte Seehundsjäger. Diese staatlichen Jäger greifen ungefähr 500 mal im Jahr zu Waffe, um den Gnadenschuss zu geben, der innen je Schuss 70 Mark einbringt. Die Fischer an der Nordsee wollen, dass diese Beschränkung fällt. Sie begründen dies damit, dass jede Bestandsmeldung der Seehunde ein neuer Höchststand ist. Im deutschen Wattenmeer soll es mehr als 24.000 Seehunde geben. In diesem Sommer wurden an Schleswig-Holsteins Westküste 7534 Tiere gezählt. Die Zählung fand vom Flugzeug aus statt und erfasste nur die Tiere auf den Sandbänken. Schwimmende Seehunde konnten vom Flugzeug aus nicht erfasst werden. Dabei zählte man ein Achtel mehr erwachsene Tiere und ein Viertel mehr Jungtiere als im Vorjahr. Das Kieler Umweltministerium meldete die Zahlen begeistert als absoluten Rekord. 

Aus dem Lager der Fischer wird auf ausbleibenden Fang verwiesen. Der schleswig-holsteinische Landesfischereiverband in Eckernförde beklagt, dass die Fischer immer weiter herausfahren müssen, um so viel zu fangen, dass es für die gesamte Familie reicht. Die feindlose Konkurrenz ist überlegen, sagt Lorenz Marckwardt, der Verbandschef. Vor Helgoland tummeln sich keine Schwertwale, dafür frisst jeder Seehund bis zu fünf Kilogramm Fisch am Tag. Der Fischereifunktionär fordert eine Halbierung des Bestandes. Das Land Niedersachsen hat angeboten, die Population mit Hilfe der Anti-Baby-Pille zu kontrollieren. Marckwardt verwirft den Vorschlag, da ein Seehund keinen Köder fressen würde, wenn er frischen Fisch zur Auswahl hat. Er sieht die einzige Möglichkeit in der Jagd. 

In Dänemark gibt es derzeit ähnliche Schlagzeilen, hier wird eine Halbierung des Seehundbestandes angestrebt. Die Tiere sind seit 1977 im Königreich geschützt, trotzdem will der Verband der Amateurfischer 6.000 Tiere abschießen. Die Behörden gaben einen Tag später Entwarnung. Sie sagten, es gäbe aktuell weder einen Antrag noch den politischen Willen dazu. Die Natürschützer sehen die Schuld bei den Fischern, die zu große Mengen gefischt hätten und so die Verantwortung für die Überfischung tragen würden. Die Überfischung sei der Grund, warum die Netze nicht mehr voll eingezogen werden können. Dazu komme die Gammelfischerei, womit das fangen kleiner Fische gemeint ist. Aus den kleinen Fischen wird Fischmehl produziert.Die Fischer erhalten auch von Schleswig-Holsteins Umweltminister Klaus Müller keine Hilfe. Er sieht das Problem eher in dem Raubbau der Fischereiwirschaft. Der grüne Politiker sieht den Seehund als inoffizielles Wappentier unserer Meere. Ein Wappentier erschießt man nicht. Fischer verhinderten, dass die Seehunde auf Rügen angesiedelt wurden. 

Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Klar brauchen so viele Tiere viel Futter. Man darf ebenso nicht vergessen, dass Großbritannien, Dänemark, Niederlande, Frankreich, Norwegen und Belgien neben Deutschland in der Nordsee fischen. Nach der neuesten Fangquote dürfen insgesamt rund 266.000 Tonnen verschiedener Fischarten gefangen werden. Der Quote wird nachgesagt, dass sie aus politischen Gründen überschritten wird. Die Quote soll den Fischbestand der einzelnen Arten stabil halten und dafür sorgen, dass nicht mehr Fische gefangen werden, als Jungtiere nachwachsen können. Andere Forscher sagen, der Fischbestand in der Nordsee sei gut wie nie. Wenn es um Geld geht, wird vieles fraglich ausgelegt. Dabei sollte nicht vergessen werden, es geht um mehr als um gefangene Fische und Seehunde. Ein gesundes Meer ist wichtig für alle. 

     
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