Hundefrei für Olympia

Tiertragödien zum Auftakt der Urlaubssaison in Griechenland

 

Der Hund – seit mehr als 14000 Jahren dient er dem Menschen als unverzichtbarer Jagdgefährte, ist ein geschickter Hüter seiner Herden, ein zuverlässiger Wächter seiner Behausung und erweist sich – so man ihn lässt – als sein treuester Freund. Manchmal wird er aufgrund überkandidelter, falschverstandener Tierliebe zu einer bedauernswerten Karikatur. In vielen Ländern Ostasiens, aber auch im Mittelmeerraum, fristen Scharen herrenloser, sich selbst überlassener Hunde ein elendes, von Rohheit und Auslöschung stetig bedrohtes Dasein.

GISELA KALARITIS
Schätzungsweise 15000 herrenlose Hunde gibt es allein im Großbezirk von Thessaloniki, im Raum Athen dürften es nicht viel weniger sein. Und jedes Jahr werden es mehr. Die umherirrenden Tiere streifen durch Straßen und Parks, stets auf der Suche nach Nahrung und Wasser, stets in Gefahr, verjagt oder gepeinigt zu werden. Die lästigen Streuner werden wie Ungeziefer bekämpft; täglich gibt es Fälle von Vergiftungen. Und mindestens einmal im Jahr veranlassen die Kommunen konzertierte Tötungsaktionen: Vor allem zu Beginn der Urlaubssaison werden gezielt präparierte Köder ausgelegt, um Parks und Strände von herumlungernden Hunden zu befreien – Ihr Anblick könnte die begehrten Touristen vergraulen.

Die Lage droht sich nun drastisch zu verschärfen: Bis zum Beginn der Olympischen Spiele 2004 in Griechenland sollen amtlichen Verlautbarungen zufolge sämtliche herrenlosen Hunde aus der Hauptstadt verschwunden, das heißt systematisch ausgerottet sein.

Dass viele dieser gefährdeten Geschöpfe nicht ein so düsteres Schicksal erleiden müssen, ist den beherzten Bemühungen einiger griechischer und im Land lebender Ausländer zu verdanken – und zwar nicht nur auf dem Festland, sondern auch auf den Inseln. Von den vielen Griechen, die ganz normal einen Hund halten, sei hier nicht die Rede. Gemeint – mit kleinen Schritten in die richtige Richtung – sind vielmehr die anonymen Helfer, die in Großstädten wie Athen oder Thessaloniki die Streuner an bestimmten Sammelstellen regelmäßig mit Futter und Wasser versorgen. Weitaus effektiver indes ist die Arbeit anderer Tierfreunde: Angesichts ungehemmter, folgenreicher Paarung unter den herrenlosen Hunden und Katzen konzentrieren sie sich darauf, die Tiere einzufangen und sie zu kastrieren.

Wie die Tierschützer versuchen, dem Fernziel ¸¸Eindämmung der Population“, ein wenig näher zu kommen, lässt sich an zwei Beispielen illustrieren. Seit April letzten Jahres gibt es den Verein Animal Pard Net e.V. mit Sitz in Bretzfeld.

Dessen Erste Vorsitzende, Angelika Teichert, bemüht sich mit ihrem engagierten Partner Andreas Greil zur Zeit um den Aufbau eines Tierärzte-Pools, der gewährleisten soll, dass jederzeit Kastrationen in größerem Rahmen anberaumt werden können. Der junge Verein, der auch Kontakte zu Tierfreunden auf Kreta und Karpathos unterhält, kooperiert schwerpunktmäßig mit Tierschützern auf der nordgriechischen Halbinsel Chalkidike. Dort kümmern sich seit zwei Jahren Hubert Tieß und Ehefrau Samira Tieß-Abou-Hamdan um die herrenlosen Tiere, die die Strandregion bevölkern.

Unermüdlich setzen sich die Tierschützer auf der Chalkidike dafür ein, die elende Situation der herrenlosen Hunde und Katzen zu verbessern. Es ist ein nie endender Kampf, da es an den notwendigen Mitteln wie Impfstoffe, Medikamente, geeignete Räumlichkeiten für Kastration und Nachversorgung fehlt, und speziell auf den kleineren Inseln oft nicht einmal ein Tierarzt vorhanden ist.

Zu den Tagespflichten der Tierschützer gehört es unter anderem, sich um angefahrene, verletzte Hunde und Katzen zu kümmern. Sie füttern die Tiere durch und stellen Wassernäpfe auf, denn in der heißen, trockenen Region im Süden sind häufig vor Durst torkelnde Hunde unterwegs. Beinahe täglich, so berichten Samira und Hubert, werden ihnen Tiere, die man los werden will, einfach vor die Haustüre gelegt. Oft werden, erzählen die beiden, die Tiere auch einfach in die nächste Mülltonne geworfen, ertränkt, überfahren oder grausam vergiftet. Hilflose Welpen werden in einem Karton, aus dem sie nicht entrinnen können, dem Erstickungs- und Hitzetod ausgeliefert.

Um gegen diese Unvernunft und die an wehrlosen Geschöpfen verübten Grausamkeiten aktiv anzugehen, gibt es nach Meinung der Mitarbeiter von Animal Pard Net e.V. nur zwei Vorgehensweisen, die langfristig auch einen flächendeckenden Erfolg versprechen: Zum einen muss vor Ort, also in Schulen und Dörfern, auf den Inseln, systematisch Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit geleistet werden, um die Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren. Das wäre die Aufgabe von motivierten Lehrern und einheimischen Tierschützern. Zum anderen müssen in regelmäßigen Aktionen, in Zusammenarbeit mit Tierärzten (meist freiwilligen aus Deutschland und England) Kastrationen durchgeführt werden.

In der kurzen Zeit seines Bestehens hat Animal Pard Net e.V. bereits drei Kastrations-Aktionen erfolgreich durchgeführt. Angelika Teichert: ¸¸Durch unsere Initiative wurden zirka 110 Hündinnen und mehr als 200 Kätzchen kastriert. Gleichzeitig wurden in großem Stil Entwurmungstabletten organisiert, die wir auch anderen Tierschutzvereinen im Süden zur Verfügung gestellt haben“. Kastrierte Tiere sind durch ein farbiges Halsband gekennzeichnet – ein optischer Hinweis darauf, dass sie tierärztlich versorgt sind und die Bevölkerung keine Berührungsängste zu haben braucht.

Für serienmäßig durchzuführende Kastrationen benötigt der Verein, brauchen Samira und Hubert auf der Chalkidike dringend geeignete einfache Räumlichkeiten für Operation und Nachsorge. ¸¸Eine kleine Auffangstation mit Strom und fließendem warmem und kaltem Wasser wäre von unschätzbarem Wert“, erklären Angelika Teichert und Andreas Greil.
Quasi eine Einzelkämpferin in Sachen Tierschutz ist Iro Michalopoulou. In Thessaloniki leitet sie den Verein ¸¸Freunde der Katze“ und sorgt seit etwa vier Jahren dafür, dass alle paar Monate ein Tierarzt oder -ärztin aus England anrückt, um zwei Wochen lang nonstop Katzen zu kastrieren und verletzte Tiere zu versorgen.

Die Tierschützerin organisiert auch mehrtägige Kastrations-Aktionen für die Inseln. Dann sammelt sie Transportboxen, packt OP-Bestecke und Medikamente ein und beherbergt in ihrer geräumigen Wohnung eine der jungen Tierärztinnen für die Dauer ihres Aufenthaltes. Während sie in der ersten Zeit, bei den Eingriffen assistierend, den häuslichen Küchentisch jedesmal zum OP umfunktionieren musste, verfügt sie heute über eine kleine angemietete chirurgische Station in der Stadt.

Aus bester Familie stammend, könnte Iro Michalopoulou ein Leben in Luxus führen. Stattdessen kriecht sie, sobald ein Notfall-Anruf sie erreicht, zu jeder Tag- oder Nachtzeit bereitwillig durch irgendein wildes Gestrüpp in der Oberstadt, zerrt dabei die unförmig lange Katzenfalle hinter sich her, um wieder mal einem kläglich miauenden Kätzchen zu helfen, das mit einer Schrotflinte angeschossen, vom Auto angefahren oder in einem verlassenen Haus eingeschlossen wurde.

Sie ist eine Tierfreundin ohne Illusionen, macht ihre Arbeit aber dennoch unbeirrt weiter. Schreibt Bitt- oder Drohbriefe an den Bürgermeister ihres Stadtteils, richtet präzise Forderungen an den Abgeordneten ihres Wahlkreises, wendet sich auch schon mal direkt an den Landwirtschaftsminister und hält Verbindung zu einem angesehenen Rechtsanwalt und einem Journalisten, beide bekannte Verfechter wahren Tierschutzes.

In ihrer gepflegten Wohnung in einer vornehmen Villengegend hält sie heute zehn gesunde Katzen – als Iro Michalopoulou sie aufgelesen hatte, waren sie allerdings aufgegeben, todkrank. Und Abend für Abend füttert sie zudem im kleinen Park zirka 16 frei lebende, kastrierte Katzen.

Wie durchsetzungsfähig und effizient diese Frau arbeitet, zeigt ihre bisherige Bilanz: So sind allein auf ihre Initiative hin in den letzten vier Jahren 4139 Kastrationen an Katzen im Raum Thessaloniki und einigen Inseln ausgeführt worden. Dazu kommen noch 350 Eingriffe bei Verletzungen und Krankheit. Unerschrocken fuhr sie auch in das damals noch nicht zwangsgeschlossene städtische Tierheim, in dem nach 14 Tagen – so die gängige Praxis der Kommunen im europäischen Süden – die eingefangenen und in engen Zwingern gehaltenen Hunde mit einer Spritze ins Herz getötet wurden. Sie holte dort die wenigen eingefangenen Katzen heraus, übergab sie zur Pflege einer Helferin, die ein Katzenasyl mit kleiner Quarantänestation auf einem aufgegebenen Fabrikareal eingerichtet hatte.

Inzwischen regt sich in der Athener Bevölkerung jedoch der Unmut. Aufgebrachte Leserbriefe gab es nach einer im Ausland ausgestrahlten TV-Reportage über Sindos bei Thessaloniki, in der Hunderte von verendeten Hunden gezeigt wurden, die auf Befehl des Bürgermeisters umgebracht worden waren. Von einer ¸¸Riesenschande für uns Griechen“, schrieb eine Leserin, ¸¸die wir nun im Ausland dastehen, als wären wir alle Barbaren, die ihre Hunde töten und ihre Wälder abbrennen.“

Der zunehmende Protest hat auch den prominenten Maler Dimitris Mytaras auf den Plan gebracht: In aufrüttelnden Bildern provoziert er mit seiner Ausstellung ¸¸Umherirren“ betroffene Reaktionen bei den Besuchern. Und äußerte in einem Interview im Supplement der griechischen Tageszeitung ¸¸Eleftherotypia“ harsche Kritik an den geplanten, staatlich verordneten und von den Kirchen tolerierten Tötungsaktionen.

Vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung für die bedrohte Kreatur in griechischen Städten: Am 2. Juli berichtete ¸¸Eleftherotypia“ über eine Demonstration, bei der Athener Bürger mit und ohne Hunde vereint unter dem Schlagwort marschierten: ¸¸In dieser Stadt ist Platz für uns alle“.

Copyright by Südwest Presse, 23.07.2001

     
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